Letter to German Foreign Minister (in Germany)

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An
Bundesaußenminister Herr Dr. Frank-Walter Steinmeier
Auswärtiges Amt
11013 Berlin
Köln, 13.05.2014
Sehr geehrter Herr Außenminister Steinmeier,

bitte erlauben Sie mir, Ihnen den Fall der Beijinger Journalistin Gao Yu zu schildern, der vor allem in den letzten Tagen in den internationalen Medien Aufsehen erregt hat. Die mehrfach durch internationale Journalistenpreise ausgezeichnete Frau Gao Yu wurde am 24. April 2014 von Mitarbeitern des Büros für Öffentliche Sicherheit abgeführt. Zwei Wochen später wurde sie unter dem Verdacht der “illegalen Weitergabe von Staatsgeheimnissen an das Ausland” strafrechtlich in Gewahrsam genommen.
Frau Gao ist unter anderem auch Redakteurin der chinesischen Redaktion der Deutschen Welle und Mitglied des Unabhängigen Chinesischen PEN Zentrums. Der Intendant der Deutschen Welle, Herr Peter Limbourg, hat in einer Pressemitteilung die chinesischen Behörden wegen der Verhaftung Frau Gao Yus kritisiert. Es sei “menschenunwürdig, sie im chinesischen Fernsehen einem Millionenpublikum als geständige Kriminelle vorzuführen”, sagte Herr Limbourg. Er forderte „ein faires und rechtsstaatliches Verfahren“ für Frau Gao, und äußerte seine große Sorge um das Schicksal der 70-Jährigen.

(http://www.pressebox.de/pressemitteilung/deutsche-welle/DW-Intendant-fordert-faires-und-rechtsstaatliches-Verfahren-fuer-chinesische-Journalistin-Gao-Yu/boxid/677028)
Zum ersten Mal kam Frau Gao Yu bereits 1989 nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung ins Gefängnis, weil sie in ihren Publikationen Sympathie für die Studenten der Demokratiebewegung geäußert hatte. Sie verlor ihre Position als Journalistin von “Economy Weekly” und war danach gezwungen, ausschließlich für Hongkonger Medien zu arbeiten. 1993 wurde Frau Gao deshalb wegen “Verrats von Staatsgeheimnissen” zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Sie verbüßte die volle Haftzeit, und wurde erst 1999 entlassen. Da ihre Artikel in China nicht veröffentlicht werden können, schrieb Frau Gao seither, und vor allem im letzten Jahrzehnt, für ausländische Medien; sie nahm auch Einladungen ins Ausland an, um an wissenschaftlichen oder kulturellen Tagungen teilzunehmen.

Die Hongkonger Zeitschrift “Mirrow Monthly” hat im August 2013 ein Dokument der Beijinger Regierung veröffentlicht, das sogenannte „Dokument Nr. 9“, die “Mitteilungen zur gegenwärtigen Lage auf dem Gebiet der Ideologien”. Die Behörde klagt Gao Yu nun an, dass sie diejenige sei, die dieses “Staatsgeheimnis” offengelegt hätte. Wikipedia berichtet, dass “Mirrow Monthly” die fraglichen Dokumente bereits im Juni 2013 durch einen Beamten aus der Provinz Hu’nan erhalten hätte. Hinzu kommt, dass der Verteilerkreis dieser „geheimen Mitteilungen“ sich bis auf die Ebene der Städte, lokalen Verwaltungen und Divisionen erstreckt. Es kann sich daher nicht um ein “Staatsgeheimnis” handeln. Diese Anschuldigung entbehrt daher jeglicher Grundlage, und ist nur vorgeschoben, um eine unbequeme Person zu inhaftieren.
Wohl aufgrund des nahenden 25. Jahrestages des “Massakers am Platz des Himmlischen Friedens”, ist eine neue heftige Welle der Unterdrückung von Dissidenten und Andersdenkenden im Bereich von Kultur und Medien in China in den letzten Monaten ausgebrochen. Am 7. Mai hat das Mittlere Volksgericht der Wirtschaftsmetropole Shenzhen den 73-jährigen Verlagsrepräsentanten des Chenzhong Publishing House – mit Verlagssitz in Hongkong – zu zehn Jahren Haft verurteilt. Verurteilt wurde er für das “Schmuggeln von Waren”.
Mitglieder des Unabhängigen Chinesischen PEN-Zentrums, Frau Liu Di, Herr Hu Shigen, der Anwalt Pu Zhiqiang, ein Professor der Beijinger Film Akademie, Herr Hao Jian, und ein Wissenschaftler der Akademie für Sozialwissenschaften, Herr Xu Youyu, wurden unlängst verhaftet, weil sie an einem privat organisierten “Seminar Beijing 2014 zum 4. Juni” teilgenommen hatten. Alle Teilnehmer des Seminars wurden von der Polizei verhört, und die oben genannten fünf Personen sind nach dem Verhör wegen “Provokation und Unruhestiftung” in Beijings No.1 Detention Center bis heute eingesperrt .
Sehr geehrter Herr Außenminister, der Fall von Frau Gao hängt nicht nur eng mit der Stabilitätstaktik der chinesischen Behörden zum Jahrestag des Tiananmen Massakers zusammen, er ist auch für Deutschland relevant. Frau Gao hat einen Tag vor ihrer Verhaftung, am 23.4. noch einen Artikel auf der Webseite der Deutschen Welle veröffentlicht. Darin erinnerte sie an den Tod des damaligen Parteichefs Hu Yaobang, der 1989 die Demokratiebewegung auslöste. Die Intellektuellen Chinas haben große Hoffnungen, dass sich die deutsche Regierung für das Schicksal und die Freilassung von Frau Gao Yu tatkräftig einsetzen wird.
Wir bitten Sie, Herrn Aussenminister, daher sehr darum, sich für Frau Gao einzusetzen. Als Journalistin für ein deutsches Medium hat sie lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt. Frau Gao Yu hat ihren Mann nach langer Krankheit vor einigen Monaten verloren. Sie selbst leidet ebenfalls unter gesundheitlichen Problemen. Eine harte Gefängnisstrafe wird die 70-jährige wohl nicht überleben. Nach chinesischem Gesetz kann der „Verrat von Staatsgeheimnissen“ jedoch mit einer Haft von bis zu zehn Jahren bestraft werden.
China hat weltweit an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung gewonnen, und ist daher ein wichtiger ökonomischer und strategischer Partner Deutschlands geworden. Entsprechend muss China auch auf dem Feld der Menschenrechte und der Pressefreiheit internationalen Standards Genüge tun. Wir bitten Sie, sich in diesem Sinne für die inhaftierte Journalistin und andere Verfolgte einzusetzen!

Hochachtungsvoll

Liao Yiwu, Berlin, (Geschwister-Scholl-Preis 2011, Friedenspreis des Deutschen Buchhandel 2012, Aschaffenburger Mutig-Preis 2013 )
Hölderlinstr. 7, 14050 Berlin

Tienchi Martin-Liao, Köln, (ehem. Präsidentin des Unabhängigen Chinesischen PEN Zentrums, Mitglied der Akademie der Künste der Welt Köln)
Kartäuserwall 28 a, 50678 Köln